Bauliche Entwicklung der Altenpflege
Nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 1990-er Jahre hinein wurde der Bau von Altenpflegeeinrichtungen durch öffentliche Mittel projektbezogen finanziert und war ähnlich wie der Bau von Krankenhäusern Aufgabe der Länder. Sie nahmen über die Vergabe von Fördermitteln auch inhaltlich Einfluss auf die baulichen Lösungen und bestimmten deren Konzeption in wesentlichen Teilen.
Im Laufe von 60 Jahren „emanzipierte“ sich dabei die stationäre Altenpflege von ihren Vorbildern, bis sie mit den heute üblichen baulichen Lösungen eine eigenständige Form für eine dauerhafte Unterbringung pflegebedürftiger alter Menschen gefunden hatte.
Das „Kuratorium Deutsche Altershilfe“ begleitete diese Entwicklung wissenschaftlich und beschrieb wesentliche Phasen in Form eines Generationenmodells:
1945 - 1960 Leitbild „Verwahranstalt“ mit einer hoher Dichte, Mehrbettzimmern, einer geringen technischen Ausstattung und zentralen sanitären Einrichtungen
1960 – 1979 Leitbild „Krankenhaus“ mit einer Optimierung der Pflegeabläufe, stereotyper Organisation, Betonung der Technik, reaktive Pflege, Behandlung außerhalb der Pflegestationen
1980 - 1999 Leitbild „Wohnheim“ mit der Verbindung von Wohnen und Pflegen, Einzel- und Doppelzimmern, gegliederte Wohnbereiche, diskrete Technik, aktivierende Pflege, Betonung von Individualität und Privatheit
2000 - heute Leitbild „Hausgemeinschaft“ mit familienähnlichen, überschaubaren Strukturen, Einzelzimmer, offene Wohnzonen mit zentraler Küche, Pflegeabläufe und Technik im Hintergrund, Integration der Behandlung in die Tagesstruktur
Angetrieben wurde diese Entwicklung von den demografischen Verhältnissen mit einem stark wachsenden Anteil alter Menschen und höherer Lebenserwartung, die mit Multimorbidität und zunehmender dementieller Erkrankung verbunden war.
Zielkonflikte Lebensraum Pflege und Brandschutz
Die Veränderung der Bauformen wurde im Brandschutz von zwei zentralen Entwicklungen begleitet: die Annäherung von Nutzungseinheiten und Brandabschnitten und die Auflösung des notwendigen Flurs innerhalb der Nutzeinheiten.
Dabei ergaben sich erhebliche Spannungen zwischen jeweils neuen inhaltlichen Zielen der Altenpflege und vorgefundenen und überkommenen brandschutztechnischen Strukturen. Sie wurden zwischen den Entscheidungsträgern lange kontrovers ausgetragen - bis die wachsenden Probleme der demografischen „Alterspyramide“ eine gesellschaftlich akzeptable Lösung erzwangen:
Es sollte ein Ausgleich zwischen den Bedürfnissen eines altersgerechten Lebensraums, Pflegeanforderungen und Sicherheit erfolgen.
Entstehen der Gruppenbetreuung
In den 1980-er und 1990-Jahren suchte man in zahlreichen öffentlich finanzierten Modellprojekten für stationäre Einrichtungen nach den richtigen baulichen Antworten auf die kommenden Entwicklungen und wählte die „Hausgemeinschaft“ als Leitbild für die angemessene Form der Altenpflege. Sie sollte vor allem dementen Bewohnern gerecht werden, sollte durch die Beschränkungen auf wohnungsähnliche Größen und festen Personenkreis ein sowohl lebenswertes wie sicheres Umfeld bieten.
Der Einsatz von günstigen „Präsenzkräften“ mit Pflegefachkräften im Hintergrund war als Antwort auf die wirtschaftlichen Anforderungen gedacht. Gleichzeitig wurde angesichts der Größe der Aufgabe ein bis heute gültiges Dogma formuliert, das der Versorgung im häuslichen Umfeld den klaren Vorzug vor einer stationären Unterbringung gab: „ambulant vor stationär“.
Baurechtliche Lösungsansätze
Die baulichen Lösungen der Altenpflege liegen bis heute im Spannungsfeld zwischen Wohnbauten (Regelbauten) und Sonderbauten. Während die Wohnung zahlreiche Privilegien geniest und baurechtlich dem Staat nur beschränkte Einflussmöglichkeiten gibt, hat der Nutzer oder Betreiber eines Sonderbaus die volle Aufmerksamkeit der Behörden. Die zahlreichen Formen sozialer Einrichtungen (z.B. Krankenhaus, Hospiz, Altenpflegeheim, Behindertenwohnheim, Einrichtungen zur Tagesbetreuung) werden in Sonderbauvorschriften geregelt, die sich in der Regel am Krankenhausbau mit klassischen brandschutztechnischen Strukturen orientieren.
Erst in den letzten Jahren und vor dem Hintergrund neuer Zuständigkeiten für das Heimgesetz entstanden auch neue oder reformierte Sonderbauvorschriften. Sie tragen den jeweiligen politischen Schwerpunkten der einzelnen Bundesländer Rechnung und unterscheiden sich zum Teil erheblich.
Anforderungen an die Personenrettung
Interessanterweise sah sich die ARGEBAU (Arbeitsgemeinschaft der für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zuständigen Minister der Länder) im Jahr 2008 veranlasst, wichtige für die Personenrettung geltende Anforderungen zu beschreiben. In einem Grundsatzpapier vom 17.12.2008 machte sie für den Bereich der stationären Unterbringung deutlich, dass Rettungswege grundsätzlich baulich angelegt sein müssen und nur im besonderen Ausnahmefall über das Rettungsgerät der Feuerwehr führen dürfen. Ausdrücklich wies sie auf die besondere rechtliche Verantwortung von Betreibern für die Rettung nicht selbstrettungsfähiger Personen und die Räumung gefährdeter Bereiche hin. Sie stellte klar, dass die Personenrettung keine primäre Aufgabe der Feuerwehr ist.
Gleichzeitig erweiterte sich nach der Neufassung barrierefreier Anforderungen in der DIN 18040 ff. die Betrachtung von baulich-technischen Hindernissen und Bewegungsflächen im Alltag auch auf die Verhältnisse im Brand- und Gefahrenfall. Die Erkenntnis, dass hier zahlreiche Hilfsmittel für eingeschränkte Personen nicht mehr zur Verfügung stehen, führt zwangsläufig zu der Frage, wie die Selbstrettungsfähigkeit eingeschränkter Personen im Brandfall erhalten werden kann.
Ein Beitrag von
Dipl. Ing. Thomas Nöll
- Architekt, nachweisberechtigt für
- Brand-, Wärme- und Schallschutz,
- Ersteller von Brandschutzkonzepten,
- Mitwirkung an der HE-Gruppenbetreuung
- seit 2003, Mitglied des Normenausschusses VdE 713.1.16 "Brandwarnanlagen"
- Referent der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen für Zertifikatslehrgänge